Am 30. Juni 2019 ging im Grazer Hotel Novapark am Landesverbandstag des Steirischen Schachverbandes eine Ära zu Ende. Kurt Jungwirth tritt nicht mehr zur Wahl an und beendet seine 48-jährige Präsidentschaft mit der Aufforderung “Yes, we can do it” an das neue Team rund um Gerd Mitter, der einstimmig zum Nachfolger gewählt wurde. Neu im Team des Landesverbandes sind Manuel Eibinger als Kassier, Martin Schönberger als Schriftführer sowie Alexander Schriebl und Reinhard Ussar als deren Stellvertreter. Ausgeschieden sind Werner Winter als Kassier, er bliebt aber als Kreisspielleiter, Oswald Riedler, Manfred Mussnig und Claus Schwarz. Kurt Jungwirth wurde per Akklamation zum Ehrenpräsidenten des Steirischen Schachverbandes gewählt und wir bei einzelnen Großprojekten noch mithelfen. Was alles möglich ist, wenn man mit guten Ideen, Beharrlichkeit und viel Herz voran schreitet, zeigt ein kurzer Rückblick von Präsident Jungwirth, den er am Landesverbandstag schriftlich vorgelegt hat und der hier unter “Weiterlesen” publiziert ist. Die jüngsten Erfolge der Schachjugend belegen den Stellenwert der Nachwuchsarbeit. Unter Jungwirth war die Steiermark im österreichischen Nachwuchsschach stets an der Spitze. Diesen Weg gilt es für das neue Team fortzusetzen…
An alle steirischen Vereine
und den Landesvorstand
Betreff: Landesverbandstag am 30. Juni 2019
Liebe Schachfreunde !
Am 30. Juni 2019 gibt es wie jedes zweite Jahr den Landestag des Steirischen Schachverbandes.
Ich werde die Leitung des Steirischen Schachverbandes weitergeben. In meinem Bericht werde ich dabei Rückblick und Ausblick halten. Den von mir geplanten Text sende ich zur Information aus. Er wäre als Vortrag zu lang. Eventuell kleine Änderungen sind vorbehalten!
Wie jedes Mal wird es Wahlen geben. Ein sorgfältig vorbereiteter Wahlvorschlag wird auf der Tagesordnung stehen.
Soweit so gut. Soweit wie üblich. Nicht üblich ist, dass ein Präsident sich erst nach 48 Jahren Amtszeit zurückzieht. Das braucht eine persönliche Erklärung.
Gelernt habe ich Schach spielen mit 11 Jahren von einem Schulfreund. Das Spiel hat mich sofort fasziniert. Damals gab es aber nicht Jugendaktivitäten wie heute. Erst als junger Student landete ich beim Schachverein Graz-Nord. Dort spielte ich meine ersten Turnierpartien. Ich war ehrgeizig und landete auf Umwegen bei einem starken Verein, der damaligen Stiria (noch ohne ypsilon). Eines Tages sagten dort ein paar junge Freunde: „In unserem Verein kriselt es. Du musst unser neuer Obmann werden.“ Ich war gar nicht erfreut, ich wollte ja spielen, ließ mich aber breitschlagen. So schlitterte ich in die Aufgaben eines Funktionärs hinein.
Schach Österreich wurde damals aus langer Tradition von Wien dominiert. Dort gab es starke Vereine, Spitzenspieler. Der Rest Österreichs war Schachprovinz. Wir jungen Steirer wollten aus der Provinz ausbrechen. Es gab eine Vereins-Staatsmeisterschaft, Vorläuferin der späteren Staatsliga und Bundesliga. 1962 und 1963 wurde die Stiria Zweiter, 1964 und 1965 Staatsmeister. 1965 wurde unsere Galionsfigur, Philipp Struner, als erster Steirer gegen die Phalanx der starken Wiener Österreichischer Staatsmeister.
Der Österreichische Schachbund, damals eben stark Wien orientiert, bereitete die Aufstellung der Nationalmannschaft für die Schacholympiade in Havanna vor. Ohne den regierenden Staatsmeister Philipp Struner.
Solche Benachteiligungen waren nicht ganz neu. Ich war empört und polemisierte öffentlich gegen die Verbandsführung in Wien, aber auch in Graz, weil man sich hier nicht für den steirischen Spitzenspieler durchsetzte. Das war mein erstes Lehrstück in höheren Sphären der Schachpolitik.
Beruflich war ich Lehrer an der damaligen Bundeserziehungsanstalt Liebenau und auf dem Weg zum Dolmetsch-Institut der Grazer Uni. 1970 wurde ich als sogenannter Quereinsteiger in die Landesregierung berufen als Landesrat für viele Aufgaben in Sachen Kultur und Jugend. Das hatte gar nichts mit meinen Aktivitäten im Schach zu tun. Ich konnte aber versuchen, einiges für Schach zu bewirken. Die Mittel waren bescheiden, aber die Steiermark hatte gute Vereine, starke Talente und ein paar Funktionäre, die sich mit Leidenschaft für Schach in der Steiermark einsetzten. So wurde ich 1970 an die Spitze des Steirischen Verbandes gewählt.
Im selben Jahr verstarb in Wien unerwartet der ÖSB-Präsident Franz Cejka.
Zu meiner Überraschung kam eine Delegation nach Graz und schlug mir vor, seine Nachfolge anzutreten. Das war nur denkbar, weil die damalige Führung des Verbandes nach außen abgehoben regierte, nach innen aber völlig zerstritten war. So wurde ich am Bundestag im September 1971in Hartberg einstimmig zum Präsidenten des ÖSB gewählt.
Für mich begannen quasi als Nebenbeschäftigung, ehrenamtlich, eine Reihe von Schachaktivitäten, steirisch, österreichisch, international. Möglich war das nur, weil mich im Laufe der Jahre ein Team von verlässlichen Mitstreitern unterstützte. Die erfolgreichsten Beweger waren in diesen Jahren Karl und Gerti Wagner.
Aus einem langen Weg blicke ich jetzt zu den Wurzeln zurückkehrend, auf Beobachtungen und Erfahrungen über Grundlinien, die für den Schachsport und für seine Entwicklung wesentlich bleiben werden.
Jugendschach gab es in meinen Anfängen nur für die Alterskategorie U19. Inzwischen bestehen weltweit zwischen 8 und 18 Jahren sechs Kategorien, offen und weiblich. Sie sichern eine breite Basis für den Nachwuchs im Wettkampfschach.
Dasselbe gilt für Schach an Schulen. Schach existiert in österreichischen Lehrplänen seit 1976 als Unverbindliche Übung. Es gibt Länder, in denen Schach an Schulen und Hochschulen abgehandelt, unterrichtet, betrieben wird. In Österreich geht diese Entwicklung nur langsam voran, Immerhin hat der Einfluss solcher Länder bewirkt, dass das Europäische Parlament 2012 den Mitgliedsländern der Europäischen Union empfohlen hat, Schach in ihre Bildungssysteme aufzunehmen.
Die vom Unterrichtsministerium regelmäßig organisierte Bundes-Schülerliga für Schach, ist eine sehr wertvolle Einrichtung geworden.
Die Strukturen von Jugendmeisterschaften von der Region bis nach Europa und in die Welt sind von großer Bedeutung. Der frühe Einstieg über die steirischen Rallys hat erfreulich eingeschlagen.
Die Anerkennung von Wettkampfschach als Sport, international in vielen Ländern längst erledigt, konnte mit 1. Jänner 2005 in Österreich erkämpft werden.
Auf dieser Basis konnte 2012 ein Landesleistungszentrum für den Steirischen Schach-Nachwuchs eingerichtet werden. Die Steiermark und Wien sind mit ihrer Jugendarbeit österreichische Spitze. Landesjugendtrainer Mario Schachinger sucht und fördert die besten Talente. Wertvolle Basisarbeit leistet dafür seit vielen Jahren Erich Gigerl.
2019 schafft ein neues Projekt der Bundes-Sportförderung neue Chancen für Jugendschach. Österreich wird in vier Zonen eingeteilt, pro Zone wird ein Nachwuchskoordinator eingesetzt und pro Bundesland ein Stützpunktverein. Für die Zone Süd, Steiermark und Kärnten, ist als Koordinator Gert Schnider nominiert, als Stützpunktverein die Grazer Schachgesellschaft. Die Aktion soll zur besseren Kooperation zwischen Fachverbänden und Dachverbänden beitragen.
Das Niveau von erwachsenen Spitzenspielern ist stark gestiegen. Folgende Steirer haben es zum Internationalen Meister gebracht.
Internationale Meister aus der Steiermark
1980 Georg Danner
1981 Walter Wittmann
1983 Walter Pils
1988 Alexander Fauland
1997 Siegfried Baumegger
1998 Manfred Freitag
2008 Andreas Diermair
2009 Robert Kreisl
2011 Florian Pötz
2012 Peter Schreiner
2013 Mario Schachinger
2016 Lukas Handler
2017 Martin Huber
2017 Gert Schnider
2017 Christopher Schwarhofer
Der erste Steirer mit dem Titel Internationaler Großmeister ist seit 2018 Andreas Diermair.
Vorbild an der österreichischen Spitze ist der Wahlgrazer Großmeister Markus Ragger, aus Kärnten zugewandert.
Die früh Vollendete Eva Moser, gleichfalls Wahlgrazerin aus Kärnten, Großmeisterin, war die stärkste Frau, die Österreich in den hundert Jahren seit der Gründung des Österreichischen Schachbundes 1920 hervorgebracht hat.
In den Bundesligen, gegründet 1975, mischen sich österreichische und ausländische Spitzenspieler. Erfreulicherweise gibt es inzwischen auch Österreicher, die in ausländischen Ligen als Legionäre aktiv sind, an der Spitze Markus Ragger in Deutschland und weiteren europäischen Staaten. Erfolgreichster steirischer Verein ist bisher Merkur Graz mit dreizehn Staatsmeistertiteln.
Auch nicht mehr ganz junge Leute spielen gut und gerne Schach. Die Steiermark hat als erstes Bundesland regelmäßige Seniorenmeisterschaften organisiert, zuerst in Graz und schließlich für das ganze Bundesland. Zuletzt sind die Österreichischen Senioren-Staatsmeisterschaften 2018 und 2019 in der Südweststeiermark gelandet.
Wichtig ist und bleibt Können und dankenswerter Einsatz von ehrenamtlichen Funktionären, ohne die ein geregelter Betrieb eines Sportverbandes nicht möglich ist. Daher ist auch Aus- und Fortbildung von Trainern, Übungsleitern und Instruktoren, Schiedsrichtern, Organisatoren und Medienbegleitungern unerlässlich.
Alle diese Arbeitsgebiete hat im Laufe der letzten Jahrzehnte der Computer maßgeblich verändert. In erster Linie das Spiel selbst. Das weltweit wirksame Elo-System mit seinen unerbittlichen Wertungszahlen sorgt für Spannung, für Freude und Leid. Symbolisch haben wir unser frühes Interesse für die Elektronik mit der Computer-Weltmeisterschaft 2003 im Grazer Schlossberg bekundet.
Zahllose internationale Begegnungen und Ereignisse von der Breite bis zur Spitze haben in Graz und in der Steiermark stattgefunden. Ein einziges sei noch erwähnt, weil es „Europäische Schachgeschichte“ geschrieben hat. Nach dem Muster der UEFA in der FIFA wurde beim Weltschachkongress 1985 in Graz die European Chess Union, ECU, in der FIDE gegründet. Gründer waren mit mir Rolf Littorin, Schweden und Ray Keene, England. Seit damals trägt unser Kontinent alle Europäischen Meisterschaften und Bewerbe autonom aus. Das bleibt in der Europäischen Schachgeschichte vermerkt.
Meinen Dank an viele Mitstreiter am Projekt Schachland Steiermark werde ich am Landesverbandstag persönlich ausdrücken.
Mit sportlichen Grüßen
Kurt Jungwirth